Meditation

Wenn der Mensch einmal beginnt, Meditationen zu machen,
so vollzieht er damit die einzig wirklich völlig freie Handlung in diesem
menschlichen Leben … Wir sind darin vollständig frei.
Es ist dieses Meditieren eine urfreie Handlung.
Rudolf Steiner, GA 214, Vortrag vom 20.8.1922

Die Meditation kann als eine Art Frucht der vorangehend beschriebenen Übungen betrachtet werden. Wie die verschiedenen Übungen, die sich jeweils mehr am Denken, Vorstellen oder Wahrnehmen orientieren, kann man auch die von Steiner beschriebenen Meditationsweisen entsprechend in Text-, Symbol-, und Wahrnehmungsmeditationen einteilen.

Kühlewind hat besonders darauf aufmerksam gemacht, dass Meditation erlernt oder erübt werden muss. Wie schon oben bemerkt, zielt das übliche Lernen hauptsächlich auf Wissenserwerb und weniger auf die Ausbildung neuer Fähigkeiten ab. Meditation wäre aber eine solche neue Fähigkeit, die, so sehr sie dann auch als natürlicher Zustand der Seele empfunden wird, wenn man sie ausübt, ursprünglich doch erst erworben werden muss. Die beschriebenen Übungen führen von sich aus schon zur Meditation hin. Man kann sie also als Vorbereitung des Meditierens verstehen.

Die Grundlagen der Meditation und ihre verschiedenen Ausprägungen werden in dem Aufsatz „Die Schulung der Aufmerksamkeit“ von Georg Kühlewind im Kapitel „Meditation“ sehr ausführlich beschrieben (in „Freiheit erüben, Meditation in der Erkenntnispraxis der Anthroposophie“, Verlag Freies Geistesleben, Stuttgart, 1988).

Eine weitere Schilderung speziell der Textmeditation enthält unter anderen auch die Schrift „Licht und Freiheit“ (Kapitel „Textmeditation – Rückkehr zur zeichenlosen Bedeutung, Verlag Freies Geistesleben, Stuttgart, 2004).

Das Meditieren in der Gruppe, wie es auch in zahlreichen Übungsgruppen praktiziert wird, bezieht den Gemeinschaftsaspekt in die Meditationspraxis mit ein und verlangt auch eine spezielle, dafür geeignete Form. Wir orientieren uns dabei an einer von Kühlewind vorgeschlagenen und in seinen Kursen oft praktizierten Vorgehensweise:

Aus „Meditation und Gemeinschaft. Geoff Swaebe im Gespräch mit Georg Kühlewind“, in Das Goetheanum, Wochenschrift für Anthroposophie, 29/2002, S.209, ebenso alle weiteren Zitate:

Die Meditationsgruppen, mit denen Sie arbeiten, befolgen meist einige informelle Vorgehensregeln. Die Teilnehmer beginnen beispielsweise mit einem auf ein meditatives Thema konzentrierten Gespräch oder mit einem Text und wählen dann einen bestimmten Satz aus, um darüber zu meditieren. Beim stillen Nachdenken über das Thema während einer gewissen Zeit kann ein meditativer Zustand eintreten. Nachher berichtet jede Person über ihr Nachdenken und Meditieren, während die anderen auf­merksam zuhören. Ist eine solche Struk­tur für die Gruppenarbeit wichtig?

Irgendeine Struktur ist zunächst not­wendig. Obwohl das Nachdenken, das Sie erwähnten, für geübte Meditanten überflüssig sein kann, hilft es, das Den­ken, das sonst die Meditation stören würde, loslassen zu können.

Die der eigentlichen Meditation vorausgehende Besinnungsphase erfordert schon eine stark erhöhte Konzentration; sie beschäftigt sich diskursiv mit dem Meditationsinhalt wie in einem inneren Gespräch. Die Gedanken kreisen um den Meditationsgegenstand und versuchen, ihn in einer dem alltäglichen Denken entsprechenden Weise zu beschreiben, zu verstehen bzw. zu erforschen. Dies erschöpft sich zwangsläufig nach einiger Zeit, da außer dem Auffinden neuer Gedanken zum Thema nur die Wiederholung von schon Gedachtem bleibt. Der „Ausweg“ ist die Intensivierung und Vertiefung des Denkens, das dann von der Wiederholung nichts mehr „weiß“; dadurch verändert sich aber die Übung qualitativ, der Diskurs beruhigt sich und mündet mehr und mehr in einen Zustand der Kontemplation.

Ist die assoziierende Tendenz des Denkens störend?

Nein, das Denken selbst; denn Medita­tion besteht nicht aus Denken, sondern aus der Konzentration auf das Thema. Je stärker die Kontemplation, um so in­tensiver ist die Aufmerksamkeit. Dies führt zu einem Moment der Leere; das Thema ändert seine Form, eine neue Be­deutung oder ein neues Verständnis scheinen durch. Das Denken verursacht ein inneres Geräusch, und ein neues Verständnis des meditierten Themas kann bei diesem inneren Geräusch nicht auftreten.